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„Sie können gar nicht mehr hier rein, und es liegen alles Leichen hier auf der Treppe.“

__Erinnerungen von Ruth Geyer, geb. Schweizer, Jg. 1928. Gespräch mit Matthias Erfurth, JohannStadtArchiv, am 4. März 2011.__

RS: „Wir mussten ja, wir waren ja damals BDM, das war ja nun Pflicht, wir mussten oder haben im Bahnhof Bahnhofsdienst gemacht, weil wir die Flüchtlinge vom Osten, die Transporte … Und die hatten nun Dresden-Aufenthalt, und wir wurden da eingesetzt. Wir durften die kleenen Kindern rausnehmen und haben dann die Muttis mit ihren Kindern hier in so Wickelstuben gebracht, oder wir haben auch Fettschnitten geschmiert und haben die an die Züge gebracht, und Tee zu trinken, und so. Und an dem Angriffstag sollte ich eben mit einer Bekannten, die hier in der Nähe bei mir wohnte, Bahnhofsdienst machen, und ich bin aber nicht gegangen, weil wir eben hier Quark- – Wie hießen die Dinger? – Quarkspitzen backen wollten, und dadurch war ich zu Hause an dem Tag mit meiner Mutter. Sonst wäre ich aufm Bahnhof gewesen.

JoStA: Und der Bahnhof konkret wurde ja auch zerbombt total …

RS: Der ist nicht sehr ausgebombt gewesen, also, ich glaube, die sind alle … aber die in den Zügen saßen, das weiß ich nun auch nicht mehr.

JoStA: Okay, und den Angriffstag selber, wie hast Du den erlebt, wie war das?

RS: Ja, da war ich zu Hause, das war so schönes Wetter …

JoStA: Es war ja auch Fasching grad …

RS: Es war Fasching, ja, drum hat ja meine Mutter, die hatte ein halbes Pfund Quark gekriegt und hat gesagt: „Da machmer morgen mal Quarkspitzen!“. Und da war ich zu Hause und hab nun die Hauswirtschaft gemacht, und dann abends haben wir nun gebacken, und dann kam auf einmal um zehne rum durchs Radio – wir hatten ja so ein kleines – kam der Aufruf: „Dresdner, geht in die Keller! Angloamerikanische Flieger sind im Angriff! Geht in die Luftschutzkeller!“ Und das hatte der kaum gesagt, da gingen auch schon die Bomben von weitem erst mal los. Das war schlimm, der Angriff, der erste. Und dann konnten wir wieder rauf, da stand unser Haus noch, die Fenster waren alle kaputt, aber es gingen schon keine Sirenen mehr. Die hatten irgendwie ganz gezielt die Eck-, wo Sirenen waren, hatten die schon bombardiert …

JoStA: … bombardiert und ausgeschaltet.

RS: Ja. Und dann waren wir oben, und da haben wir nun so’n bissel die Scherben zusammengekehrt, und da hörte ich von weitem – meine Mutter hörte damals schon schwer – hörte ich von weitem schon wieder die Einschläge. Ich sag: „Mutti, wir müssen wieder nunter, es geht wieder los!“ Und wir waren noch auf den Treppen, da kamen auch schon die Bomben wieder. Und der Angriff, der war schlimm, der war noch viel schlimmer wie der erste. Ja, und dann, die Keller waren ja nun untereinander verbunden, es war ja ein Haus am andern, wir hatten alle die Durch-, wo man so durch konnte in die einzelnen Häuser, und da hieß es dann, wir müssen raus ausm Haus, bei uns brennt’s, und da sind wir dann nüber in ein anderes Haus und noch in ein anderes Haus, und meine Mutter war gestürzt, die hatte sich den Fuß verstaucht, sehr, und dann sind wir wieder, ging’s nun hin und her, das weiß ich nun auch nicht mehr so, jedenfalls, zuletzt ham wir gesagt: „Wir sind doch wieder in unserm Haus!“ Und da wussten wir natürlich die Schliche, und da ging’s die Treppe nauf, vor uns war ein Mann, die Türe hat schon gebrannt, der hat das noch mit letzter Kraft aufgestoßen, und wir sind dann vor, das war so’n großer, wie soll ich’n mal sagen, so ein großer Eingang, und sind noch nausgekommen. Außen war ja dann … das war ja kein Sturm, das war Orkan, aber eben mit …

JoStA: Hm, dieser Feuersturm.

RS: Und da sagt meine Mutti bloß noch: „Wir müssen nachm Zöllnerplatz!“ Da hattense den Zöllnerplatz aufgebaggert und hatten wie nen Schutzwall gemacht. Auf jeden Fall: Meine Mutter, die ist über was gestolpert, und ich bin einfach weitergetrieben worden, du konnt’st dich ja nicht halten, jedenfalls: Meine Mutter war weg. Und ich hab mich nun irgendwo so hingekauert und gewartet, bis früh war, und dann gesucht, „Mutti!“ gerufen. Und dann, ja, nu, da waren nun die Leichen dort, so groß ungefähr, aber die Füße, die Schuhe hat man meistens noch erkannt, das Leder. Und, na ja, da hat man dann, da hab ich mir die Leute angeguckt, da war sie nicht dabei, und auf einmal ruft’s „Ruth! Ruth!“, und da war’s meine Mutter. Da waren wir so glücklich! Wir saßen dort auf so nem umgefallenen Baumstamm und ham uns bloß umarmt und … na ja, das war’s.

JoStA: Und eure Wohnung war natürlich komplett …?

RS: Unsre Wohnung war weg. Es stand zwar noch, aber alles ausgebrannt. Dann sind wir nach Stunden, nach anderthalb Stunden sind wir dann Richtung Reick gelaufen eben, sind dort irgendwo von Leuten aufgenommen worden, dass wir uns mal waschen können und aufs Klo können und so weiter, und dann sagte die aber, war schon wieder Alarm, das war, wo sie dann an der Elbwiese und am Großen Garten mit Bordkanonen und so geschossen haben … Und dann sind wir dort in die Reicker Schule. Meine Mutter hatte einen ganz dicken Fuß, ich musste dann die ganzen Sachen regeln, den Ausgebombtenausweis und so weiter … Am nächsten Tag sind wir dann noch mal hin zum Haus. Inzwischen war das aber eingestürzt, und da war ein Mann dort, der sagte: „Sie können gar nicht mehr hier rein, und es liegen alles Leichen hier aufm, auf der Treppe.“ Und da haben wir bloß hingeschrieben „Ruth und Lene Schweizer, wir leben noch und wollen nach Wilkau“, haben wir auf son, ob er Kreide hatte, das weiß ich jetzt auch nicht mehr. Jedenfalls haben wir versucht, nach Wilkau zu kommen. Das hat aber auch noch zwei Tage gedauert. Am 17. waren wir dann endlich hier, denn der Zug ging ja auch nicht, beziehungsweise ging er bissel, dann mussten wir wieder aussteigen, weil wieder Alarm war … Am 17. sind wir dann hier gewesen. Der Mantel, den ich und auch, den meine Mutter anhatte, die waren vollkommen zerlöchert durch die Funken und so, und dreckig waren wir wie verrückt. Das war’s.“