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„Mit Worten nicht zu schildern“

__Zeitzeugenbericht aus dem Archiv der "„Interessengemeinschaft 13. Februar 1945“ e.V.":http://www.dresden-1945.de/verein/index.html. Zitiert nach: Oliver Reinhard/Matthias Neutzner/Wolfgang Hesse: Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg. Dresden 2005. S. 322/323.__

handschriftlicher Brief, A4, weiß

Dresden, 21. Febr. 1945

Meine lieben Käte und Hans!

Was wir in der Nacht vom 13. zum 14. haben erleben müssen, haben Euch Lore und Rudi in großen Zügen schon geschildert. Es war so unvorstellbar grauenhaft, daß es uns auch jetzt nach Ablauf einer Woche noch nicht völlig gelungen ist, unser inneres Gleichgewicht einigermaßen zurückzugewinnen. Mit Worten ist all das Entsetzliche, was über uns hereinbrach, jedenfalls nicht zu schildern. Wer hätte auch nur zu ahnen vermocht, daß ein menschliches Gehirn die abgrundtiefe Gemeinheit ersinnen könnte, etwa 1 ½ Stunden nach dem ersten, ungemein schweren Angriff, der bereits den größten Teil unserer schönen Stadt in Trümmer gelegt hatte, sofort noch einen wenn möglich schwereren folgen zu lassen! Die Folgen des ersten Angriffs waren schon verheerend genug: unser Nachbarhaus Volltreffer einer schweren Sprengbombe, die aber glücklicherweise nicht gezündet hatte, rundherum zahlreiche Häuser in lohende Fackeln verwandelt, von denen der Feuersturm ungehemmt durch die zertrümmerten Fenster und Türen unserer Wohnung raste. Trotz des beispiellosen Chaos waren wir noch froh, daß wir nicht auch brannten, ich habe noch die besonders gefährdeten Dinge, wie z.B. Gardinen usw von den Fensterhöhlen entfernt, Kontrollgänge bis aufs Dach organisiert, für die Ablöschung der fortlaufend hereinfliegenden Brandteile gesorgt und was dergleichen Verrichtungen mehr sind. Da wir in dieser Nacht ohnehin nicht in die Wohnung hätten zurückkehren können, brachten wir noch eine Matratze und sämtliche Federbetten in den Luftschutzkeller und legten die Kinder dort nieder. Und dann kamen, als ich gerade im Dach nach dem Rechten sah, plötzlich – ohne Alarm, da die Sirenen ja bereits zerstört waren! – neue Kampfverbände und warfen über ½ Stunde lang ununterbrochen die schwersten Spreng- und ungezählte Brandbomben und Phosphorkanister über uns herab. Unmittelbar um unser Haus herum in Entfernungen von 1–10 Metern habe ich später die Krater von 4 Bomben allerschwersten Kalibers festgestellt, und ich vermag es heute noch nicht zu fassen, wie es möglich gewesen ist, daß unser Keller diese ungeheuren Erschütterungen hat überstehen können, ohne ebenso zusammenzustürzen, wie das übrige, darüberstehende Haus. Inmitten betender, jammernder und weinender Frauen und Kinder hatte ich Lore, Ilse und Erika umfaßt und konnte nichts anderes erwarten, als das Ende unseres Daseins. Als aber dann gegen jede Erwartung das Krachen der detonierenden Bomben verstummte, ohne daß wir begraben worden waren, mußte die Möglichkeit des Entkommens aus den Trümmern gesucht werden. Das Verlassen des Kellers durch den gewöhnlichen Hauseingang war ebenso ausgeschlossen, wie durch den vorgesehenen Notausstieg im Waschhaus, da sowohl von dem nun lichterloh brennenden Nachbarhaus (Verlagsbuchhandlung!) wie von unserem Garagenhaus her der Feuerorkan waagerecht in die Tür und den Ausstieg hereinfegte. Als einziger Fluchtweg blieb der Ausstieg durch das vorsorglich seines Gitters entblößte Fenster unseres Kohlenkellers übrig, obwohl auch dort das Nachbarhaus über und über in Flammen stand, und obwohl auch von den brennenden Trümmern unseres eigenen Hauses dauernd brennende Teile herabstürzten. Die Minuten, die nötig waren, um mit Hilfe einer kleinen Leiter und unter selbstlosem Einsatz unseres Hausmannssohnes die meisten Hausgenossen, darunter alte Leute und kleine Kinder, hinauszubefördern, dehnten sich zu Ewigkeiten. Als Lore und Ilse hinaus waren und ich mich mit Erika, 2 Frauen und 2 Kindern noch im Keller befand, brach plötzlich eine glühende Masse von unserem Haus herunter und versperrte uns auch noch diesen Fluchtweg. Mir blieb nichts übrig, als Erika und mich über und über mit Löschwasser naß zu machen, uns beiden nasse Decken überzulegen, und dann durch den glühenden Hauseingang den Sprung ins Freie zu wagen. Unmittelbar nach dem Striesener Platz war nicht hinauszukommen, so daß ich mit dem Kinde – und hinter mir die beiden Frauen mit den 2 Kindern – den Weg zwischen Haus und Garage hindurch suchen mußte. Hätte Dante uns auf diesem Wege begleiten müssen, dann wäre seine Schilderung der Hölle vermutlich bei weitem grausiger ausgefallen. In dem furchtbaren Feuersturm, übersät von glühenden Brocken, durch ein Gewirr von Bombentrichtern, gestürzten Bäumen und Häusertrümmern, gelang es mir erst nach dem übernächsten Haus, einen Ausweg nach dem Striesener Platz zu erkämpfen und Erika über die Mauer hinweg in verhältnismäßig größere Sicherheit zu bringen und auch den beiden nachkommenden Frauen und Kindern zu helfen. Dann irrten wir in dem völlig verwüsteten Striesener Platz umher, bis wir schließlich Lore und Ilse, die uns schon umgekommen glaubten und dem Wahnsinn nahe waren, wiederfanden. Ein Entrinnen von dem Platz gab es nicht, denn alle Häuser ringsum und auf den angrenzenden Straßen standen ohne jede Ausnahme in hellen Flammen, verbreiteten eine geradezu infernalische Hitze und bedeckten uns dauernd mit glühenden Brocken. Dazu war die Luft erfüllt von einem undurchdringlichen, beizenden Qualm, so daß wir noch zu ersticken fürchteten. Wir legten uns deshalb in einen Bombentrichter, deckten unsere Decken über uns und haben die ganze Nacht bis früh 8 Uhr dort verbracht, indem wir uns gegenseitig immer die herabregnenden Brandteile ablasen! Durch Qualm und Hitze waren meine Augen mittlerweile so mitgenommen, daß ich nahezu nichts mehr sehen konnte, und Lore ging es nicht besser. Als es tagte, konnten wir feststellen, daß von unserem Haus nur noch die Reste von 3 Außenwänden standen, während die Ostwand, unter der Lore und Ilse herausgekommen waren, völlig zusammengestürzt war. Kurz nach 8 Uhr begann für uns der Weg des Elends. Außer dem, was wir auf dem Leibe trugen, hatten wir ja nichts, aber auch gar nichts retten können, und mußten doch noch glücklich sein, mit unseren Kindern wenigstens körperlich im wesentlichen unversehrt davongekommen zu sein. An zahllosen Leichen vorüber, die noch so dalagen, wie sie grausam erschlagen worden oder verbrannt waren, zogen wir durch die Wintergarten-, Comeniusstraße und Karcher Allee in Richtung Strehlen. Kaum ein einziges Haus stand noch. Da ich kaum sehen konnte, mußte ich mich von Erika, die sich ungemein tapfer gehalten hat, führen lassen. […]